Tickende Zeitbomben
Die Gesellschaft steht vor einem großen Problem: Munitionsaltlasten schlummern in den Weltmeeren und rotten vor sich hin. Die IHK Schleswig-Holstein und das Maritime Cluster Norddeutschland waren zum Thema Munitionsbergung in Nord- und Ostsee erstmalig an der Westküste in Büsum zu Gast, um diese Aufgabenstellung zu beleuchten.
Umweltminister Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/ Die Grünen) eröffnete den Informationsabend im Wirtschafts- und Wissenschaftspark mariCUBE und unterstrich die Wichtigkeit des Themas. „Die Meere sind bedrohter als je zuvor. Die Uhr tickt im Wettlauf mit der Korrosion“, sagte der Minister. Dies sei eine Generationenaufgabe, die vor uns liege – auch finanziell.
Der Bund stellt 100 Mio. Euro zur Verfügung für das Pilotprojekt zur Munitionsbergung. Laut Schätzungen lagern 1,6 Mio. Tonnen in der Deutschen Nord- und Ostsee, teilweise unter Sediment begraben.
Prof. Dr. Edmund Maser vom UKSH gab einen Überblick über die Gefährlichkeit durch beispielsweise Explosionsgefahr, dem Austritt giftiger Chemikalien und die Korrosion und dessen Giftwirkungen auf Menschen und Umwelt. Das Fazit der derzeitigen Forschungsergebnisse der UKSH: Explosionsstoffe aus versenkter Kriegsmunition sei toxisch und krebserregend und sie gefährden die marine Ökologie und Diversität. „Noch bestehe keine akute Gefahr für den Menschen, aber mit den Jahren kommen diese Probleme auf den Teller. Derzeit sind Muscheln noch genießbar, aber sie leiden unter oxidativem Stress und zum Beispiel bei Plattfischen sind Lebertumore und Degenerationen festzustellen“, führt Prof. Dr. Maser aus.
Die Aufteilung der Munitionslasten schätzt Alexander Bach vom Umweltministerium mit 300.000 t in der Ostsee und 1,3 t in der Deutschen Nordsee. „Eine Masse davon vermuten wir vor den Ostfriesischen Inseln, aber es liegt auch ein beträchtlicher Teil vor der Küste Schleswig-Holsteins. Man muss sich die Munition erstmal anschauen, bevor man weiß, wie damit zu verfahren ist“, so Bach. Zudem seien Phosphorreste aus Altmunition auch am Strand zu finden, unerkennbar für den Laien und eine potenzielle Gefahr für Bernsteinsucher.
Wolfgang Sichermann ist Geschäftsführer von Seascape. Sein Unternehmen ist mit dem Projektmanagement des Pilotprojektes „Sofortprogramm Munitionslasten“ betraut. Er erklärt, dass die Projektbeteiligten zunächst versuchen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, eine größtmögliche Räumung hinzubekommen. „Sprengung ist eigentlich keine Lösung. Unser bisheriger Ansatz ist das Verbrennen der Munition an Land“, so der Geschäftsführer von Seascape. Der Fokus liege zunächst auf der Ostsee, die Erkenntnisse würden später auf die Bergung in der Nordsee übertragen. Das Ziel des Projektes sei die Entwicklung eines industriellen Prozesses, wodurch sich durchaus Vorteile und Chancen für die Wirtschaft ergeben könnten.
Peter Moller vom Maritimen Cluster Norddeutschland sieht diesbezüglich eine große Expertise in Schleswig-Holstein mit wenig Konkurrenz. „Unsere Wirtschaft im Norden verfügt über starke Kompetenzen in Wissenschaft, Wirtschaft, Forschung und Industrie, um dieses weltweite Problem zu lösen“, so Moller.
In Schleswig-Holstein hat sich inzwischen ein starkes Bündnis aus Wirtschaft, Wissenschaft und Naturschutz zusammengetan, dass gemeinsam an den verschiedenen Problematiken arbeitet.
Dagmar Struß, Leiterin der NABU Landesstelle Ostseeschutz, definiert einige Ziele des Naturschutzbundes: Sprengungen vermeiden und den Blasenschleier als Übergangstechnologie nutzen wegen der Zerstörung von Lebensräumen und Arten. Sie fordert Engagement und die Übernahme von Verantwortung sowie eine nachhaltige Entsorgung. „Wir müssen einen Ausgleich schaffen zwischen Meeresschutz und Sicherheit. Eine langfristige Finanzierung ist wichtig“, sagt die Expertin. „Wir haben hier in Schleswig-Holstein ein einzigartiges Bündnis geschlossen. Dieses müssen wir pflegen und ausweiten.“
„Das schwierige, aber sehr wichtige Thema der Munitionsbergung ist gerade für die Küstenanrainer ein zentrales Thema, das, trotz aller Herausforderungen, auch wirtschaftliche Potentiale für Unternehmen und StartUps bieten kann, da sich neue Aufgabenstellungen, Dienstleistungen und neue Kapazitäten und Ressourcen in verschiedensten Branchen abzeichnen“, so Martina Hummel-Manzau als Geschäftsführerin der Entwicklungsgesellschaft Westholstein und des mariCUBE. „Dabei kann sowohl die Begleitung von StartUps, aber auch die Unterstützung z.B. bei Kontaktaufnahme zu Experten, um neue Geschäftsmodelle zu diskutieren, die Rolle der Wirtschaftsförderung und unserer regionalen Technologiezentren bzw. des Wirtschafts- und Wissenschaftspark als Transferstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, sein. Deshalb freuen wir uns auf die weitere Zusammenarbeit, Vielen Dank, dass wir Veranstaltungsort für dieses wichtige und aktuelle Thema und den Projektstart sein durften.“
Die Veranstaltung in Büsum war das vierte Event zu dieser Thematik, veranstaltet durch die IHK Schleswig-Holstein, in Zusammenarbeit mit dem Maritimen Cluster Norddeutschland und dem Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur, sowie dem Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UV Nord), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und dem Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Ein Wettlauf mit der Zeit, der Startschuss in Schleswig-Holstein ist gefallen.